Leckerchen

Bei unserem Agi-Treff teilen wir uns Freud’ und Leid. So erzählte diesmal eine Hundebesitzerin, dass ihre Hündin abgehauen sei… Sie war so richtig sauer, denn sie macht alles an Hundeerziehungs- und Sportkursen mit, der Hund hat bei einer Prüfung den 1. Preis gewonnen, eine schöne, aufgeweckte Aussiehündin. Nun war auf dem Spaziergang eine zweite Hündin dabei, die nicht so dicht bei Frauchen bleibt und eher größere Kreise zieht. Gerade als die Hündin bei ihr war, um ein Leckerchen abzuholen, pfiff die andere zur Jagd, und ab ging die Post… Frauchen empörte sich nun darüber, dass ihre Hündin jagte OBWOHL sie das Leckerchen schon fast im Munde hatte. Ich konnte mir nicht verkneifen, abfällige Bemerkungen über das ewige Leckerchen-in-den-Hund-stecken zu machen.
Hier bestehen nämlich erhebliche Missverständnisse über den Sinn und Zweck des Leckerchens. Natürlich kann man einen Hund, der gerne frisst, mit Leckerchen dressieren. Klassisch konditionieren. Er tut alles, was man von ihm möchte und fordert seinen Lohn ein. Der Besitzer merkt gar nicht, wie er sich selbst zum Leckerchenautomaten degradiert. Spätestens dann, wenn dem Hund etwas wichtiger ist – wie die Jagd im richtigen Leben – läßt er Frauche und Leckerchen im Regen stehen…. DENN – Leckerchen tragen nicht zur Bildung der Beziehung bei! Einem erwachsenen Hund immer wieder für so gut wie nichts ein Leckerchen einzuschieben, wird vom Hund natürlich gerne angenommen, aber auch nur, weil er es gerne frisst, nicht aus Gehorsam oder gar weil seine Bindung besonders eng ist, auch wenn er hautnah drängelt.
Das Leckerchen macht Sinn, beim jungen Hund die Verknüpfungen zu erleichtern. Aber irgendwann muss der Leckerchenautomat versiegen, beim erwachsenen Hund geht es um Beziehung und Kommunikation. Das erreicht man aber auf einer ganz anderen Ebene.
Ein hervorragendes Beispiel sind die sportlich ausgebildeten Deutschen Schäferhunde, die ich – von einer Ausnahme abgesehen – immer wieder auf meinen Gängen in der Nähe des Platzes antreffe. Selbst auf dem Platzgelände sind außerhalb des Trainingsbereichs die Hunde weit entfernt von Gehorsam und Kontrolle. D.h. das perfekte und zuverlässige Ausführen der Dressuraufgaben (ich sage bewusst Dressur) auf dem Platz hat nichts, aber auch gar nichts mit einem im Alltag zuverlässig gehorchenden Hund zu tun.
In unserem Falle war die Hundebesitzerin einigermaßen entsetzt, dass ihre Hütehündin jagt. Es ist immer noch nicht in die Köpfe eingedrungen, dass Hütehunde Jagdhunde sind. Sie jagen nur nicht nach den Jagdgesetzen freilebendes Wild, obwohl sie das gut könnten und gerne täten, sondern Haustiere. Meine Colliehündin stand übrigens fest bei Rebhuhn und Fasan vor und machte Wildschweine hoch. Das Jagdverhalten wurde den Bedürfnissen angepasst, genau so wie bei den Vorstehhunden oder Dackeln. Ein Dackel steht nicht vor und ist dennoch ein guter Jagdhund. Ein Hütehund treibt wie eine Bracke das Wild dem Jäger die Schafe dem Schäfer zu. Nur dass das Wild die dumme Angewohnheit hat, sich im Unterholz zu verstecken, während die Schafe in dichtem Pulk mitten auf der Wiese stehen, wenn der Hund kommt und sich so als ganze Herde treiben lassen. Nicht der Hund treibt das einzelne Schaf zur Herde zurück, sondern das Schaf will unbedingt zu Herde zurück.
Wenn sich eine Gelegenheit bietet, zumal mit einem vierbeinigen Gefährten, dann wird auch der Hütehund sein Glück versuchen.
Der Hetztrieb ist unterschiedlich stark ausgeprägt und viele, insbesondere Colllies, bleiben lieber in der Nähe ihrer Menschen, denn Jagderfolg ist in den seltensten Fällen beschieden. Hunde sind ja nicht dumm. Ihre Unterordnungsbereitschaft, die für den Hütehund charakteristisch ist, macht es auch einfach, sie zurück zu rufen, wenn man rechtzeitig merkt, was los ist. Aber aufpassen ist immer angesagt, und vor allen Dingen, die Hunde sinnvoll zu beschäftigen, denn wenn die Beziehung stimmt, überwiegt in der Regel bei Hütehund das gemeinsame Tun. Und wenn Frauchen heute nicht nach Rehen jagen will, dann eben nicht. Morgen vielleicht, oder lieber nach dem Kong oder Futterbeutel?
Natürlich gibt es auch bei den Hütern unverbesserliche Hetzer. Aber vorauszusetzen, dass Hütehunde nicht jagen, ist einfach nur eine Illusion.