
Hochmut kommt vor dem Fall

Es ist schon viele Jahre her, dass ich auf einer Hundeveranstaltung einen auffallend großen rauhaarige Hund sah, der mich faszinierte. Dunkelgestromt mit leuchtenden Augen und großen Stehohren wirkte er nicht wie ein Mischling, deshalb fragte ich nach der Rasse. Die jungen Leute erklärten, es sei ein Bouvier des Ardennes. Das war schon kess, fand ich, denn ich hatte von dieser Rasse noch nie gehört. Man wollte mich offenbar auf den Arm nehmen und titulierte seinen Mix mit einem Fantasienamen. Nein, beharrten die Leute, sie haben ihn auf einem Bauernhof in den Ardennen gekauft, und das sei eine Rasse! Nun gut, wenn sie das meinten… Aber ich habe diesen Hund nie vergessen.
Als ich für die Recherchen meines KOSMOS Hundeführer schließlich auf die FCI-Rasse Bouviers des Ardennes stieß, mit dem Vermerk, dass die Rasse nicht mehr aktiv sei, ärgerte ich mich schwarz, meine damalige Begegnung nicht ernst genommen und ein Foto von dem Hund gemacht zu haben. Ich wandte mich sofort nach Belgien, aber dort wurde nur bestätigt, die Rasse existiert nicht mehr. Später hörte ich, dass noch Reste vorhanden seien und man die Zucht zu beleben versuche. Und nun wurde es schwierig… Endlich erhielt ich eine Kontaktadressen, dann platzte ein Termin, ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, als man mir Julie van Hecke, eine bekannte Groenendaelzüchterin, nannte, die gut Deutsch sprach und die Züchter kannte. So konnte endlich das Wiedersehen mit dem Bouvier des Ardennes stattfinden.
Wiederentdeckung einer aussterbenden Rasse
Zu verdanken sind die Rettungsmaßnahmen dieser alten belgischen Hunderasse Jean-Claude Michiels. Er züchtet Bergers de Picard, rauhaarige französische Schäferhunde. Als Computerfachmann reiste er 1983 zu Viehzüchtern in den Ardennen, um Analysen der Colostralmilch zu erstellen. Als Hundekenner fielen ihm die Hunde auf, die auf vielen Höfen ihre Arbeit verrichteten. Manche Bauern waren sich der Rasse bewusst, die meisten nicht. Seit sie sich zurück erinnerten lebten solche Hunde auf den Höfen, bewachten Hab und Gut und trieben das Vieh ein. Gezüchtet hat man sie eigentlich nicht, wenn man einen Welpen brauchte, war beim nächsten Bauern sicher dranzukommen.
Möglich, dass man bei Bedarf darauf achtete, dass der Vater ein guter Viehhund war, aber auch Mischlinge waren gerade in den letzten Jahren eher die Regel. Ein modernes Straßennetz bricht die Isolation abgelegener Höfe, Rassehunde werden angeschafft oder von Touristen mitgebracht. Der traditionelle Bouvier des Ardennes drohte – wieso viele Lokalschläge – durch Bastardisierung auszusterben, auch wenn sein Arbeitsplatz – im Gegensatz zu vielen anderen Rassen – noch immer sicher war. Michiels recherchierte in den alten Büchern, fand Fotos und stellte fest, dass offiziell der letzte Hund 1939 ins Zuchtbuch eingetragen wurde. Betrachtet man die Hunde, sieht man keine attraktiven Schönlinge, sondern gewöhnliche Arbeitshunde, die schon immer da waren. Auf Ausstellungen zu gehen, Umstände und Kosten für die Beantragung von Papieren, auf die eh keiner wert legt, einzugehen, lag den Bauern fern. Was aber nicht bedeutete, dass die Hunde nicht existierten.

Erhaltenswertes Kulturgut
Für Michiels galt es ein Stück altes Kulturgut zu bewahren, wie eine alte Rinderrasse oder ein altes Gebäude. Michiels begab sich ans Werk. Er suchte die Hunde auf den Höfen und katalogisiert sie. Er bemüht sich, die Bauern dazu zu bewegen, die Paarungen gezielt vorzunehmen und die Nachkommen registrieren zu lassen. Er weckt in ihnen das Bewusstsein, eine ganz besondere Hunderasse zu besitzen, die kurz vor dem Aussterben steht. So auch Joseph Guyot, einen jungen Bauern, in dessen Familie ebenfalls stets solche Hunde bei der Arbeit halfen. In ihm und seiner Familie fand er jemanden, der sein Interesse teilte und gezielt die Zucht betreibt. Der belgische Dachverband St. Hubert unterstützt die Erhaltung der einheimischen Rassen und brachte anlässlich der Welt-Ausstellung in Brüssel eine Broschüre heraus, in der er vorgestellt wurde. Die drei Exemplare wurden mit großem Erfolg, belagert von Zuschauern und Fernsehstation aus aller Welt, vorgeführt.
Aber der Aufbau einer Rasse ist nicht leicht. Ein wertvoller Zuchthund wurde vergiftet und man musste auf weniger typische Hunde zurückgreifen. Es dauerte etwa zehn Jahre, bis man von einem gefestigten Typ sprechen konnten.
Aufnahme ins offene Register
Noch erhalten die Welpen keine Papiere, sondern laufen über die Kartei von Jean-Claude Michiels, die an die 30 Hunde enthält, von denen er etwa die Hälfte als vorzüglich bezeichnet. Auf den Bauernhöfen leben jedoch noch eine ganze Reihe mehr oder weniger typische Hunde, die nicht erfasst sind. Ab Ende des Jahres soll die Rasse ins offene Register des St. Hubert übernommen werden. Auf Ausstellungen dürfen sie nur von belgischen Richtern beurteilt werden. Leider gibt es auch hier schon wieder zwei Lager, die über den Standard unterschiedlicher Meinung sind, jedoch wurde entschieden, dass der alte Standard von 1921 beibehalten wird. Man darf sich deshalb nicht wundern, wenn gänzlich anders aussehende Hunde ebenfalls als Bouvier des Ardennes bezeichnet werden. Vielleicht schlummert ja noch eine weitere Rasse im Dornröschenschlaf und eine Vermischung der Typen ist gar nicht wünschenswert.

Bislang werden noch keine Welpen in Privathand verkauft
Die Hunde der Michiels-Züchtergruppe werden bislang nicht verkauft, sondern gehen nur als Arbeitshunde auf die Höfe. Vorzüglich Exemplare, die von drei verschiedenen Richtern beurteilt und als rassetypisch dokumentiert werden, sollen der Weiterzucht erhalten bleiben. Ebenso werden typische Hunde ohne Papiere weiterhin in die Zucht aufgenommen, um unerwünschte Inzucht zu vermeiden. An Verkauf der Welpen ist erst gedacht, wenn sie offiziell beim Zuchtverband eingetragen wurden. Ich bin sicher, dass eine gewisse Nachfrage nach diesen Hunden so manchen Bauern eher bewegt, seine Hunde eintragen zu lassen und dem Rasseaufbau zuzuführen.
Angeborene Stummelruten
Die fotografierten Hunde haben alle natürliche Stummelruten. Die Bauern bevorzugen seit jeher Hunde mit Stummelruten, denn sie sagen, wenn eine Kuh einem jungen Hund auf den Schwanz tritt, wird er nie mehr an die Rinde herangehen. So wurden von jeher die kurzen Ruten als rassetypisch betrachtet. Man will sie als Rassemerkmal beibehalten und merzt Welpen mit langer Rute aus. Nur ansonsten außerordentlich typische Exemplare dürfen bleiben und werden möglicherweise zur Zucht herangezogen. Man ist sich bewusst, dass angeborene Stummelruten bei anderen Rassen auf einem Lethalfaktor beruhen, der in Reinerbigkeit schwerste Deformation hervorruft. Da man diese aber bei den Bouviers noch nicht beobachtet hat, geht man davon aus, dass hier eine andere Vererbung zu Grunde liegt und gefahrlos auf kurze Ruten selektiert werden kann.

Seine Historie liegt im Dunkeln
Wie üblich bei einem solchen Bauernhund weiß man nicht viel über seine Historie. Beckmann schreibt 1895 unter den belgischen Schäferhunden: „die unter dem Namen Berjots (Bergeots) oder „vieux Berjots“ in den Ardennen vorkommende zottige Form soll von eingeführten französischen Bergers de Brie abstammen.“ Ob der Hund ursprünglich aus Frankreich kommt, kann heute niemand mehr sagen. Jedenfalls ist eines sicher – wo es Rinder gab, gab es auch immer Treibhunde. Spätere Referenzen gibt es bei dem niederländischen Autor Toepoel. Jedenfalls wurde die Rasse 1913 offiziell als Bouvier des Ardennes anerkannt. Ein Zeichen dafür, dass züchterisch nichts herummanipuliert wurde, und wir heute noch den Hund vor Augen haben, wie er seit Jahrhunderten den Bauern bei der Arbeit hilft.

Aparte Hunde mit leuchtenden Augen
Der Bouvier des Ardennes ist apart, aber nicht hübsch. Derb, düster in der Farbe leuchten seine ausdrucksvollen Augen umso mehr. Die großen Stehohren unterstreichen seinen aufmerksamen Gesichtsausdruck. Die vierschrötige, rustikale Hund hat ein überraschend leichtes, federndes Gangwerk und beeindruckt durch seine Schnelligkeit und Gewandtheit im Umgang mit dem Vieh. Er ist ein ernster Arbeitshund, der seine Aufgabe braucht. Fremden gegenüber ist er misstrauisch, unnahbar und unbestechlich. Wir können uns in Gegenwart von Joseph Guyot und seiner Familie unbefangen auf dem Hof bewegen und fotografieren. Doch niemals würde es mir einfallen, an einem solchen Hund vorbei achtlos den Hof zu betreten. Als typische Eigenschaft nannte man, dass er vollkommen selbstständig nachts die Reviergrenzen, d.h. die Grenzen des Hofes mit seinen umliegenden Weiden abläuft und so vor Eindringlingen schützt. Damit Rüden wegen einer heißen Hündin das Grundstück nicht verlassen, werden sie oft kastriert, so dass prächtige Tiere der Zucht verloren gehen.
Das treiben der Rinder ist seine Passion
Auch am Tag hält der Hund ein wachsames Auge auf alles, was auf dem Hof passiert. Am liebsten begleitet er seinen Herrn bei den Rindern. Morgens werden die Kühe auf die Weide gebracht, abends zurück in den Stall zum Melken. Der Hund läuft die riesigen Weideflächen ab und sammelt auch die letzte Kuh und den stärksten Bullen ein, treibt sie, wenn nötig, mit einem gezielten Biss in die Fesseln – das Euter darf unter keinen Umständen verletzt werden. Dabei hilft ihm der Bauer nur wenig. Nur wenn er eine Kuh erspäht, die dem niedrigeren Hundeauge verborgen blieb, gibt er ein Kommando. Gehen die Kühe ihren gewohnten Gang zum Stall, folgt der Hund in angemessener Entfernung, ohne sie zu ängstigen. Das sind die Höhepunkte seines Tages, abgesehen vom Füttern. Der Hund hat in der Regel keine Neigung zum Streunen oder Wildern.

Kein Hund für den Vorstadtgarten
Seine Familie liebt er über alles, doch ist dieser gänzlich unverfälschte Bauernhund sicher nicht geeignet für ein Leben in der Vorstadt mit kleinem Garten und gelegentlichen Spaziergängen. Er führt auf dem Bauernhof ein selbstständiges Leben. Kennt seine Aufgaben und darf im Tagesablauf nicht stören. Der starke, selbstbewusste und wachsame Hund gehorcht seinem Herrn soweit für die Aufgaben auf dem Hof erforderlich. Er ist kein Schmeichler, der ständige Aufmerksamkeit seines Herrn verlangt. Ganz sicher ist er kein leichtführiger Hund, denn er wurde auf selbstständiges Arbeiten hin gezüchtet, wobei ihm die Verhaltensweisen eher angeboren als anerzogen sind. Er mag ein interessanter Partner für den erfahrenen Hundekenner sein, der dem Hund eine angemessene Aufgabe bieten kann. Inwieweit er sich für hundesportliche Aktivitäten eignet ist noch nicht bekannt. Wichtig ist zunächst, dass er als Hof- und Viehtreibhund erhalten bleibt.
Mein Besuch in Belgien war Ende der 1990er Jahre. Der Bericht erschien im Deutschen Hundemagazin vom November 1999. Am 25.10.2000 wurde der offizielle Standard veröffentlicht. 2023 wurden 7 Hunde beim VDH eingetragen, selbst in Belgien wird die Rasse nur hin und wieder auf einer Ausstellung gezeigt. Weitere interessante Informationen finden Sie hier.
Copyright Text und Fotos Eva-Maria Krämer