Rückblicke – Chart Polski

Der Polnische Windhund

Schon Jahre vor der 1. Ausgabe des KOSMOS Hundeführers hatte ich begonnen mein Archiv zu den FCI-anerkannten Hunderassen anzulegen. Dabei stieß ich immer wieder auf Rassen, die national aufgebaut wurden, die ich in jedem Fall mit aufnehmen wollte – machten sie doch den spannenden Teil meiner Recherchen aus. Bis zum Erscheinen des Buches konnte ich sie in diversen Hundezeitschriften veröffentlichen und habe bei mancher Rasse echte Pionierarbeit geleistet. Ich habe damals das wiedergegeben, was mir die Züchter und Besitzer sagten und dabei aufgrund meiner Erfahrungen mit vielen Rassen auch kritisch hinterfragt. 

Eine ganz spezielle Rasse durfte ich Ende der 1980er Jahre kennenlernen. Den polnischen Windhund, auf den ich ganz zufällig gestoßen war. Viele Jahre später erlaubte mir Familie Nickau ihre wunderschönen Chart (Windhund) zu fotografieren, die dann auch viel veröffentlicht wurden und heute noch zu meinem Stolz deren Wohnmobil mein schönstes Hundeporträt schmückt. Eigentlich wollte ich das gerne als Titelfoto für den Hundeführer haben, aber der Verlag war anderer Meinung. 

Hier nun mein Bericht aus der Ausgabe 7/1990 der HUNDEWELT in meiner Rubrik „Hundewelt auf Reisen“.

Zu Besuch beim polnischen Windhund

Alles begann mit einem Irrtum

Lucienne und Michel Jasica haben sich ganz den polnischen Hunderassen verschrieben. Kein Wunder, denn Michel ist polnischer Herkunft. Mehr oder weniger aus Zufall führten sie in Westeuropa den Owczarek Podhalanski oder Tatrahund ein. Sie brachten den schönen weißen Riesen, ahnungslos und ohne Stammbaum, aus Polen mit. Sie vermuteten anhand eines Hundebuches einen Pyrenäenberghund in ihm und meldeten ihn auf einer Ausstellung (in Belgien ist das möglich, allerdings ohne Vergabe des CACIB). Doch sie trafen jemanden, der Pyrenäenberghunde kannte und meinte, dieser Hund sei wirklich keiner! Woher kommt er denn? Aus Polen, aber dort sollte es doch auch eine weiße Berghunderasse geben! Das Forschen begann, und tatsächlich war dieser Hund nicht nur ein reinrassiger, sondern auch ein hervorragender Podhalaner. Jasicas hatten viel Platz und beschlossen die herrlichen Hunde zu züchten. Das war in den 1960er Jahren. Es gab viele Hundekontakte mit Polen, und bei einem Besuch sagte ein Hundefachmann: Warum widmet ihr euch nicht dem polnischen Niederungshütehund und macht ihn in Westeuropa bekannt? Polnische Züchter befassten sich gerade mit dem Wiederaufbau der Rasse. Jasicas besichtigten die PONs und Lucienne war enttäuscht: Das ist ja ein kleiner Hund! Doch sie ließen sich überreden, zum großen einen kleinen Hund hinzuzunehmen. Das war der Anfang der PONs in den 1970er Jahren. Auf Jasicas Hunden bauen die deutsche und holländische Zucht auf. Dank ihrer Bemühungen konnte der PON die Herzen vieler Hundefreunde erobern, gehört längst nicht mehr zu den unbekannten, sondern droht sogar populärer zu werden, als ihnen lieb ist. 

Die dritte im Bunde

Nun lebt eine dritte polnische Rasse im Hause Jasica oder vielmehr sie residiert: die edle Topola. Eigentlich ist sie Michels Hund. Sie hat sich ihm vollkommen angeschlossen, ist freundlich und nett mit Lucienne und den Kindern, aber mit liebevoller Hingabe und treuem Gehorsam hängt sie nur am Hausherrn. Topola ist einer von vier Chart Polski außerhalb Polens.

Uralter Jagdwindhund

Die jüngste von der FCI im vorigen Jahr anerkannte Rasse ist uralter Herkunft. Schon im 14. Jahrhundert werden Polens Windhunde schriftlich erwähnt und im 16. Jahrhundert ausführlich beschrieben. Maler des 18. Und 19. Jahrhunderts stellten diese Rasse häufig dar. Woher er kam, der Jagdhund der weiten Ebenen Polens, ist unbekannt. Man vermutet, dass asiatische Windhunde mit einheimischen Jagdhunden gekreuzt wurden, um einen harten, schnellen Hund für die Beizjagd (zu Pferd mit Falken) zu bekommen. Enge Verwandtschaft mit dem russischen Chortaja (1505 soll ein russischer Fürst eine ganze Anzahl polnischer Windhunde mitgenommen haben) und dem englischen Greyhound dürfte bestehen.

Schnell, wendig, ausdauernd

Der etwas derbe, zwar elegante, aber nicht grazile Windhund, wie Topola ihn heute in einem vorzüglichen Exemplar darstellt, wurde nicht nur zur Jagd auf Niederwild, sondern auch auf den Wolf benutzt. Schnelligkeit, Wendigkeit, rücksichtslose Kampfbereitschaft und Ausdauer zeichneten diese Windhunde aus. Da die Wölfe lebendig gefangen wurden, brauchte man speziell abgerichtete Hunde. Dazu eignete sich der Chart Polski besonders, da er sich wie kaum ein anderer Windhund abrichten und erziehen lässt.

Wolfsjagd mit drei Hunden

Man jagte den Wolf mit drei Hunden: Zwei hetzten ihn, der dritte wurde erst gelöst, wenn der Wolf gestellt war. Die ersten beiden verbissen sich in Ohren oder Nacken, der dritte in Rücken oder Rute. Für den Jäger war nun Eile geboten, um den Wolf zu retten. Niederwild jagte man gewöhnlich mit zwei Hunden, aber ein Hund alleine ist wendig genug, um einen Hasen zu fangen. Er tötet seine Beute sofort und bringt sie niemals dem Herrn. Der Jäger muss also seinem Hund sehr schnell folgen. Am besten zu Pferd. Chart Polski vertragen sich daher von Natur aus hervorragend mit Pferden. Im 19. Jahrhundert verlor sich das Interesse an der Reitjagd mit Windhunden. Nur noch der Tradition halber wurden die Hunde in den Zwingern des übriggebliebenen Landadels in Süd-Ostpolen gehalten. Aber über den zweiten Weltkrieg und die schwierigen Nachkriegsjahre schienen sich die alten polnischen Windhunde nicht mehr retten zu können. 1946 Verbot die kommunistische Regierung die Jagd mit Windhunden gesetzlich. Windhunde durften nur noch in der Stadt gehalten werden. Damit sollte jede Erinnerung an das frühere Wohlstandsleben des Adels verschwinden. Aber so ganz klappte das nicht! 

Der Not gehorchend überlebt

Die Not zwang die Menschen die Gesetze zu umgehen und so überlebten einige wenige Chart in der Gegend von Kielce als Wilderergesellen. Die Hunde sorgten mit für den Lebensunterhalt und man züchtete sie mit großer Sorgfalt, da man nur wenige Tiere von höchster Leistungsfähigkeit halten konnte. Einige überlebten auch in polnischen Gebieten, die heute Russland gehören. Es ist nicht mehr eindeutig zu sagen, ob der russische Chortaja eigentlich ein Chart Polski ist oder ob der Russe bei der Erhaltung des Chart Polski beteiligt war, denn beide Rassen sind sich sehr ähnlich.

Totgeglaubte leben länger

Offiziell galt der polnische Windhund jedoch als ausgestorben, bis ihn in den 1970er Jahren Hundefachleute wieder entdeckten und mit den Resten des einst so beliebten Windhundes eine planmäßige Zucht aufbauten, um die sich besonders Frau Dr. med. Szmurlo verdient machte. Man schätzt, dass heute in Polen 100-150 reinrassige Hunde leben, auf den Ausstellungen sind in der Regel 10-20 gemeldet. Im Juni vorigen Jahres wurde der Chart Polski offiziell von der FCI anerkannt und darf nun ausgestellt und in unsere Zuchtbücher übernommen werden. In Deutschland gibt es meines Wissens nach keinen Chart Polski und ob Jasicas züchten werden ist noch ungewiss. Betrachtet man sich den Charakter des Hundes näher, darf man ihm sicherlich eine gute Zukunft und damit das Überleben einer weiteren alten traditionsreichen Windhunderasse voraussagen.

Deutlich kräftiger als andere kurzhaarige Windhunde

Die Einleitung des Standards beschreibt den Hund in einer freien Übersetzung sehr schön. Der polnische Windhund ist groß, kräftig stark bemuskelt und deutlich kräftiger als andere Kurzhaar-Windhunde. Sein Gangwerk ist leicht und federnd, und seine Züge erinnern an den asiatischen Windhundtyp, von dem er abstammt. Solider Knochenbau, fester Körper, gut sichtbare Muskulatur und starke Kiefer weisen auf seine Arbeit im rauen Klima Polens hin, wo er Hase, Fuchs, Reh, Trappe und sogar den Wolf jagte. Charakteristisch ist sein Gesichtsausdruck: aufmerksam, wachsam und durchdringend. Der polnische Windhund ist gelassen, selbstbewusst, bedächtig und mutig, bei der Jagd hellwach, schnell, gewandt und ausdauernd. Der Chart Polski ist, wie das oft bei Wildererhunden der Fall ist, ein angenehmer, intelligenter und folgsamer Hausgenosse. In Polen wird er bei Windhunderennen eingesetzt. Auf kurzer Strecke soll er dem Greyhound nicht nachstehen und ihm auf lange Distanz sogar überlegen sein. 

Im Haus ruhig

Topola entspricht den Beschreibungen. Sie ist im Hause ruhig und freundlich zu jedermann. Wenn Fremde kommen schlägt sie kurz an, ist aber niemals aggressiv. Sie wacht, schützt aber nicht. Jedenfalls hatten Jasicas glücklicherweise noch nicht die Gelegenheit eventuell vorhandenen Schutztrieb auf die Probe zu stellen. Als besonders angenehm erweist sich die fehlende Neigung allem und jedem nachzulaufen, was sie somit erheblich von anderen Windhunden unterscheidet. Sie kommt auf Ruf zurück und entfernt sich nicht außer Sichtweitekontakt. Sie liebt das Spiel und verschafft sich Bewegung auf ausgedehnten Spaziergängen und Toben mit den PONs. Ob das auch so einfach wäre, wenn sie auf Rennen trainiert wäre, ist fraglich. Jedenfalls hat sie das Hetzen nie kennengelernt und wurde nie dazu ermuntert. 

Hund für sportliche Menschen

Jogger, Radfahrer und Reiter dürfte der bewegungsfreudige, ausdauernde und witterungsunempfindliche, dabei gehorsame Hund ein angenehmer Begleiter sein. Jasicas berichteten, dass sie häufig in Polen Charts beobachteten, die in der Stadt ohne Leine bei Fuß gingen. Der Chart ist gelehrig und lernwillig, wenn der selbstbewusste Hund seinen Herrn akzeptiert und dieser ihn liebevoll erzieht. Mit Härte, Zwang und Drill erreicht man gar nichts. Lucienne Jasica gibt dem Hund durchaus eine gute Chance bei den immer beliebter werdenden Agility-Wettbewerben. 

Sie verlangt Respekt

So freundlich und zärtlich sich der große Hund den Menschen gegenüber verhält, so schwierig ist er gegenüber anderen Hunden. Er lässt seine Dominanz von keinem Artgenossen infrage stellen, unterwirft sich ein Hund ist alles in Ordnung – tut er ist nicht, ist der Chart ein fürchterlicher Gegner. Topola versteht es auch ihre PON-Freunde immer wieder auf ihre Rudelführung, obwohl sie die jüngere ist, hinzuweisen. Manche lassen sie „achselzuckend“ gewähren. Manche wiederum verteidigen ihren Platz und es geht sofort zur Sache. Das passiert nie, wenn die zweibeinigen Herrschaften im Hause sind. Deshalb heißt es aufpassen und Topola nicht mit den anderen Hunden alleine lassen. Dass Topola keine Ausnahmeerscheinung ist stellten sie beim Erfahrungsaustausch mit polnischen Chartbesitzern fest. Erfreulicherweise erweist sie sich als unkomplizierter Fresser, kerngesunder und pflegeleichter Hausgenosse. Besonders mit den Kindern versteht sie sich sehr gut.

Das war der Bericht aus dem Jahr 1990! Es wäre interessant zu hören, wie sich die Rasse inzwischen entwickelt hat und inwieweit der Bericht heute noch gültig ist. Tatsäche ist, dass in Deutschland im VDH nur rund alle zwei Jahre Welpen geboren werden. 2024 gab es keine, 2023 waren es 9!

Rassestandard

Betreuender Zuchtverband Deutscher Windhundzucht-und Rennverband e.V.