Meine ersten Toller lernte ich auf einer Retrieverschau kennen, auf der drei Tiere aus den Niederlanden gemeldet waren. Eine wunderbare Gelegenheit Fotos für meinen KOSMOS Hundeführer zu machen. Der Kontakt war hergestellt, und ich durfte sie in Holland besuchen und sehen, wie ihre ursprüngliche Arbeitsweise aussah. Damals hätte niemand geahnt, welche Beliebtheit dieser kleine Retriever einmal erreichen würde.
Hier mein Rasseportrait in der Hundewelt 5/91.

Der Nova Scotia Duck Tolling Retriever
Die Retriever-Familie zeichnet sich durch Hunde aus, die eigens zum Zweck des Apportierens, vorzugsweise aus dem Wasser, gezüchtet wurden und noch werden. „To retrieve“ bedeutet zurückbringen. Es sind Hunde, die zur Jagd verwendet werden, aber es sind keine jagenden Hunde. Ihre Aufgabe war es stets, das geschossene Wild heranzubringen – nichts weiter. Sie brauchten keiner Fährte zu folgen, kein Wild aufzuspüren oder zu hetzen. Jagdtrieb, Raubwildschärfe usw. wurde bei diesen Hunden nicht benötigt oder gefördert. Sie eignen sich deshalb alle hervorragend als Familienhunde, weil sie nicht das Bestreben haben, auf eigene Faust jagen zu gehen und nicht den Drang besitzen, jeder Spur oder jedem Stück Wild folgen zu müssen. Die vielfältigen Retriever hatten dennoch in ihrer Heimat entsprechend unterschiedliche Arbeitsweisen zu Lande oder zu Wasser. Labrador, Golden oder Flat Coated Retriever sind weltweit am bekanntesten. In Deutschland gibt es mittlerweile auch schon Curly Coated und Chesapeake Bay Retriever. Bis vor wenigen Jahren gänzlich unbekannt war jedoch der Nova Scotia Duck Tolling Retriever aus Kanada, ein Retriever, der in vielen Punkten gänzlich aus dem oben umrissenen bekannten Rahmen fällt. Sein Name bedeutet Enten anlockender Apportierhund aus Nova Scotia – damit sind seine Heimat und seine Arbeitsweise verdeutlicht.

Der kleinste Retriever
Der kleinste und eigenartigste der Retrieverfamilie stößt inzwischen auf großes Interesse und wird sicherlich bald häufiger anzutreffen sein. Bisher wurde nur in Holland und in Dänemark gezüchtet. Inzwischen gibt es einzelne Exemplare in Deutschland, Frankreich und in der Schweiz. Linus Bos aus den Niederlanden, leidenschaftlicher Jagdhundeausbilder, bekam eines Tages den kleinen rotbraunen Rüden Lucky von einem Freund zur Ausbildung. Als Lucky drei Tage in der Familie Bos lebte stand fest: dieses Haus verlässt er nicht mehr! Sein Freund durfte sich in Kanada einen neuen Hund besorgen, und eine Gefährtin für Lucky dazu. Inzwischen wurden im Hause Bos zwei Würfe aufgezogen, aus dem ersten Verlieb Athos in der Familie.

Nach dem Vorbild der Füchse
Die Geschichte dieser Rasse ist einmalig. Neu-Schottland oder Nova Scotia ist eine kanadische Halbinsel im Atlantik. Diese Küstenregion ist ein bedeutender Rastplatz für ziehende Wasservögel. Seit Jahrtausenden nutzen die roten kanadischen Füchse den reich gedeckten Tisch, wenn die Enten rasten. Die Menschen beobachteten wie die schlauen Reineckes gänzlich unbefangen am Ufer hin und her tobten und offenbar zu spielen schienen. Die neugierigen Wildenten schwammen heran, um zu sehen was da los war, und schon sprang ein versteckt auf der Lauer liegender Fuchs ans Ufer und packte sich eine Ente. Ob sich das hervorragend funktionierende Team dann auch die Beute teilte, ist nicht überliefert. Die Menschen jedenfalls machten es den Füchsen nach. Sie schickten ihre ebenfalls rötlich gefärbten Hunde ans Ufer und ließen sie dort mit Stöckchen spielen und hin und her rennen, bis die Enten nah genug heran waren, um mit Pfeil und Bogen erlegt zu werden. Als im 19. Jahrhundert die europäischen Siedler dies sahen, griffen sie natürlich die Methode mit ihren mitgebrachten Hunden auf.

Heute wie damals
Heute noch verwendet man die Toller in der ursprünglich von den Füchsen vorgemachten Weise: Der Jäger sitzt am Ufer hinter einem Versteck. Von dort aus wirft er für den Hund Bälle. Der Hund tobt und vollführt Bocksprünge am Ufer und bringt den Ball zurück. Unermüdlich spielt und apportiert er. Heute noch folgen die Enten neugierig dem Hund und bezahlen dafür mit dem Leben. Der Jäger schießt die Enten und der Toller hat nun das Vergnügen, sie zuverlässig und voller Eifer aus dem oft eiskalten Wasser an Land zu holen.
Bunte Mischung
Die besten Hunde besaß ein Mann namens Allan aus Yarmouth. Sie sollen von leberfarbenen Retrievern abstammen, doch genaues weiß man nicht. Man vermutet Einkreuzungen des einheimischen Wasserhundes, Cocker Spaniel, Golden Retriever, Irish Setter und Collie, der die buschige Rute beigesteuert haben soll. Erst 1945 wurde die Rasse vom Canadian Kennel Club offiziell anerkannt. Man schätzt den Bestand in Kanada auf circa 2000 Hunde.
Popularität nicht angestrebt
Die kanadischen Züchter fürchten um die Qualität ihrer Hunde, wenn sie erst den Beliebtheitsgrad wie die größeren Retriever-Vettern erreichen, denn die guten Eigenschaften besitzt auch der kleine rote. Sie haben die Rasse nie gezielt bekannt gemacht. Doch verheimlichen ließ sie sich offenbar auch nicht mehr.
Verspielt und begeisterte Schwimmer
Linus Bos jedenfalls ist von seinen Hunden begeistert. Sie bieten alles, was man sich unter einem guten Haus- und Familienhund vorstellt. Sie sind von handlicher Größe und besitzen pflegeleichtes, wasserabstoßendes Haarkleid. Sie sind von Natur aus leicht zu erziehen und gehorsam. Unermüdlich ist ihr angeborener Spieltrieb, man kann einen Hund stundenlang mit Ballspielen und Stöckchenwerfen beschäftigen. Natürlich liebt er das Wasser. Athos war schon mit zehn Wochen in eiskaltem Wasser ein begeisterter Schwimmer, was Linus Bos anfangs erschreckte, aber dem Welpen offensichtlich nicht schadete.

Jagdliche Ausbildung und gute Familienbegleiter
Aber Linus Bos hat seine Hunde nicht zum Spielen. Als passionierter Jagdhundeführer bildete er Lucky binnen drei Monaten in den Disziplinen herkömmlicher Jagdhundeprüfungen aus. Toller zeigen hervorragende Nasenleistung, Bringtreue, Bringselverweis und sie stöbern. Sie bieten damit dem Jäger, der auch einen guten Haus- und Familienhund sucht, eine interessante Alternative. Nur eines sind Toller nicht: Wach- und Schutzhunde.

Im Haus sind sie ausgesprochen ruhig und bellen kaum. Sie sind menschenfreundlich, insbesondere Kindern gegenüber geduldig und liebevoll. Auch mit anderen Haustieren verträgt sich der Toller prima. Der intelligente bis ins hohe Alter verspielte Hund braucht eine Aufgabe und Beschäftigung. Eine Jagdliche Ausbildung wäre ideal, aber auch Agility und Breitensport könnte ich mir sehr gut für diese Rasse vorstellen. Der einzeln gehaltene Toller ist leichtführig und gehorsam. Er neigt weder zum Streuen noch zum Wildern. Zu mehreren gehalten allerdings besteht eher die Neigung, einem Hasen hinterher zu jagen.
Gehorsam in einer Meute gestaltet sich bei jeder Rasse schwieriger als mit einem Einzelhund. Auffallend ist die starke Passion zu schwimmen und zu apportieren. Es gibt kaum einen Bach oder einen Teich, den der Toller nicht zu einem Bad nutzte oder um darin nach Stöckchen zu tauchen, die man unermüdlich für ihn werfen kann. Jeder Toller-Besitzer kann beobachten, wie sein Hund vorzugsweise am Ufer eines Flusses oder am Meer entlangläuft, sofern er die Möglichkeit hat.
Pflegeleicht
Das schlichte, pflegeleichte, nicht verfilzende Haarkleid trocknet rasch ab, sobald sich der Hund nach dem Schwimmen heftig geschüttelt hat. Er bleibt dabei stets sauber und bedarf nur gelegentlichen Bürstens.
Der Toller ist ein amüsanter Freizeithund, der Wind und Wetter nicht scheut, der seine Familie auf allen Wegen gerne und ausdauernd begleitet, der stets zu Spiel und Spaß aufgelegt ist und der gleichzeitig ein angenehmer, nie hysterischer Hausgenosse ist.

Ein Hund mit Zukunft
Linus und Jeanette Bos waren die ersten Züchter in West-Europa. Zwischen 1989 und 2022 züchteten sie 58 Würfe mit 362 Welpen unter dem Zwingernamen v.d. Echtinger Grift. Die beiden ersten Hunde waren Lucky „Collier’s Ontario’s Good Luck“ (1987-1998) und „Ardunacres Winnie of the West“ (1988-1998). Am 21.11.1989 fiel der erste Wurf dieser beiden in West-Europa.
Obwohl der Toller inzwischen kein Unbekannter mehr ist, gehört er doch zu den seltenen Rassen mit nur 115 Welpeneintragungen im VDH in 2024. Damit erreichte er als eine der wenigen Rassen im VDH eine Steigerung von 91 Eintragungen in 2014. Die Beliebtheit, die zunächst befürchtet worden war, blieb jedoch aus. Die Toller sind nun mal keine kleinen Golden Retriever oder eine schicke Alternative zu dem „Allerweltshund“. Sie sind sehr viel lebhafter und anspruchsvoller, was eine sinnvolle Beschäftigung und Führung angeht und daher keineswegs so „easy“ für Jedermann, wie es zunächst den Anschein hatte.
Copyright Text und Fotos Eva-Maria Krämer
Betreuender Verein Deutscher Retriever Club