Haustiere ermöglichen nicht nur den Zugriff auf Fleisch, Felle und Leder, sondern wertvolle Produkte der lebenden Tiere wie Milch, Wolle, Dung. Eine Herde versorgte die Familie mit allem, was sie brauchte.

Schafherde in den Bergen
Serra da Estrela in Portugal – nur bei genauem Hinsehen erkennt man die Hunde. Ihre Fellfarbe ist dem Umfeld bestens angepasst.

Wo es die geographische Lage erlaubte, Nahrung auf Feldern anzubauen, regelmäßig zu ernten und Überschüsse zu erwirtschaften, konnten Menschen sesshaft werden, Besitz schaffen, Spezialisten ernähren, Städte gründen, Technik und Kunst entwickeln. 

Für den Ackerbau ungeeignete Gebiete wie karge Steppen- und Bergregionen wurden für die Viehzucht genutzt. Heute geht man davon aus, dass Ackerbau und Viehzucht im Nahen Osten im so genannten Fruchtbaren Halbmond, der sich von der Mittelmeerküste über das Euphrat-Tigristal zum persischen Golf erstreckte, um 11.000 v. Chr. entstanden und von da aus nach Europa vordrängten. Auch asiatische Steppenvölker begannen um diese Zeit Haustiere zu halten. 

Die Domestikation des Hundes reicht sehr viel weiter zurück als die von Schwein, Rind und Schaf um 8000 v. Chr. oder gar des Pferdes um 4000 v. Chr. Alle Zahlen unter Vorbehalt, da sie täglich von neuen Funden und durch bessere Datierungsmöglichkeiten überholt werden können. Genetische Studien ergaben, dass die meisten europäischen Männer auf Einwanderer aus dem Nahen Osten zurückgehen, wären die meisten Frauen von Sammlern und Jägern abstammen. Offenbar wanderten die Männer ein, brachten Viehzucht und Ackerbau mit und gründeten mit ortsansässigen Frauen Familien. Da kein Mensch ohne Hund irgendwo hingeht – jedenfalls nicht in meiner Vorstellungswelt – ist das auch für uns interessant bezüglich der Verteilung der Rassen in Europa, denn schon die alten Babylonier kannten Herdenschutzhunde. 

Wer Besitz hat, muss ihn schützen. Des Menschen größter Feind war stets der Mensch. Raubtiere waren ärgerliche Nahrungskonkurrenten und richteten Schaden an, aber niemals war der Mensch durch sie existenziell, gefährdet, solange ihm ein guter Hund zur Seite stand. Raubende und mordende Menschenhorten jedoch kann kein Hund aufhalten, wohl aber herannahendes Unheil melden und Gelegenheitsdiebe abschrecken. 

Auf mich üben diese prächtigen Hunde eine ganz besondere Faszination aus, weil man sie heute noch bei ihrer ursprünglichen Arbeit erleben kann. Fast in Vergessenheit geraten, traten sie in den letzten Jahrzehnten mit Wolf-und Bären-Schutzmaßnahmen in Europa ins öffentliche Interesse, da es keinen besseren und kostengünstigeren Schutz für die Herden gibt. Auch in den USA und in Afrika werden sie vermehrt eingesetzt. Ich habe Hirtenschutzhunde in Portugal, Spanien, Italien, in der Schweiz und in Griechenland bei den Hirten besucht und war beeindruckt von ihrer tiefen Verbundenheit mit ihren Menschen, ohne dabei ihre Eigenständigkeit einzubüßen.

Herdenschützer aus dem Tierschutz

Hund hinter Gittern
Kangal im Tierheim

Zu den Zuchtrassen gehören die Herdenschutzhunde in Deutschland nicht. Vereinzelte Züchter ja, aber diese sind sich absolut bewusst wie schwierig es ist, die passenden Menschen für ihre Welpen zu finden. In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach Herdenschutzhunde aus Angst vor dem Wolf gestiegen. Aber die meisten kommen über den Tierschutz. Häufig sitzen Kangals aus der Türkei in Tierheimen ein, weil ihre Besitzer mit ihnen überfordert sind. Sie passen nicht in die Stadt oder in einen Hinterhof, nur weil man sich mit diesem schönen starken Hund schmücken möchte. Ausgerechnet er steht seiner ursprünglichen Aufgaben noch sehr nahe und ist daher wirklich nur Kennern mit dem geeigneten Umfeld zu empfehlen. Aus der Türkei, den Balkanländern, insbesondere Rumänien, kommen über Tierschutzorganisationen, jedoch eine Menge Herdenschützer und deren Mischlinge zu uns, vermittelt von Menschen, die nichts über sie wissen, an Menschen, die nicht ahnen, was sie sich ins Haus holen. Kürzlich würdigte die Presse einen Verein, der alleine um die 100 Hunde pro Jahr aus der Türkei herüberholt. Das Foto eines Treffens der Besitzer und ihrer geretteten Hunde zeigte mehrheitlich Herdenschützer-Typen! Werden sie dann noch je nach Farbe und Zeichnung als Aussie– oder Border Collie-Mixe verkauft, muss man sich nicht über große Probleme wundern. Unbedarfte Besitzer beschäftigten für viel Geld Heerscharen von Hundetrainern, aber sie werden nicht viel mehr tun können, als Verständnis für das Verhalten der Tiere zu erreichen und den Umgang mit ihnen entsprechend anzupassen. Es ist mir deshalb ein besonderes Anliegen, diese prächtigen Hunde ausführlicher vorzustellen.

Hund
„Aussie-Mix“ aus dem Tierschutz von Thessaloniki – er erwies sich als sehr schwieriger Hund
Hund
Griechischer Herdenschutzhund aus der gleichen Region

Das Leben der Herdenschutzhunde beschreibe ich in der Reportage Herdenschützer und ihre Herden sowie Herdenschützer in der Schweiz.

Lebensaufgabe Schutz der Herden

Grundsätzlich besteht die Aufgabe des Herdenschützers im Schutz der Herden und des Hofs. Und zwar dann, wenn der Mensch nicht da ist und schläft. Das verlangt selbstständiges Handeln und blitzschnelles Entscheiden im Bedarfsfall. Der Mensch verlässt sich auf den Hund, nicht der Hund auf den Menschen. Der Mensch stellt an den Hund keine Ansprüche. Es gibt ein paar wenige Umgangsregeln, ansonsten respektiert der Mensch den Hund und überlasst ihn seiner Aufgabe. Und das ein Hundeleben lang in einem sich nicht veränderndem Umfeld – Weiden und Hof – von der Geburt bis in den Tod.

Herdenschutzhunde als Familienbegleiter

Aufgrund dieser angeborenen und vom Menschen hoch geschätzten Verhaltensweisen sind sie nach unserem Verständnis des Umgangs mit unserem Familienhund nicht leicht zu halten. Durch die Einbeziehung in die Familie gewähren wir dem Hund sozusagen ein „Mitspracherecht“, und dann muss man sich nicht über Diskussionen wundern. Bei der Erziehung braucht man Verständnis für den Wesenstyp, natürliche Autorität und Fingerspitzengefühl, um bei aller Konsequenz auf die Sensibilität der Hunde einzugehen. Besonders Rüden stellen die Autorität ihrer Menschen immer wieder auf die Probe, vor allem, wenn sie Schwächen spüren. Unbewusst gewährte Privilegien verteidigt der Hund, sobald man sie ihm streitig macht. 

Kind und Hund

Kind und Hund
Gingen Kind und Hund nicht gut zusammen, hätte der Mensch sicher nie den Hund ins Lager geholt. Doch muss man gesunden Menschenverstand walten lassen und den Hund als Hund sehen.

Bei Hirtenhunden, die mit ihm Dorf leben, wachsen die Welpen auf dem Hof auf, wo Kinder natürliche Spielgefährten sind. Kinder verlieren zwar rasch das Interesse an den Jungtieren, doch es reicht, um die Welpen positiv zu prägen. Erwachsene Herdenschutzhunde müssen sich jedoch nicht innerhalb der Familie mit Kindern auseinandersetzen. Sobald Kinder anfangen am Hund zu erziehen, ihn herumkommandieren, ihn maßregeln, ihn zu etwas zwingen wollen, wird sich der Hund entziehen. Und kann er das nicht, dem Kind deutlich klarmachen: bis hierhin und nicht weiter. Selbst eine heftige Korrektur ohne Beschädigungsabsicht kann ein dünnhäutiges Menschenkind verletzen. Es ist schwer festzustellen, wie lange der Hund das Kind als Kind toleriert oder einen heranwachsenden Teenager erzieht! 

Spätentwickler

Beißender Hund
Der junge Kangal warnt sein Frauchen, sie möchte ihn aus dem Bild ziehen, weil ich einen anderen Hund fotografieren wollte. Einige Zeit später erfuhr ich von seinem Tod. Frauchen wollte ihn von der heißen Hündin wegziehen, da biß er zu. Mir war versichert worden, wie nett der Hund war. Erfahrene Besitzer großer Hunde!

Herdenschutzhunde sind Spätentwickler. Sie brauchen gut drei Jahre, bis sie erwachsen sind. Sie sind dann auch erwachsen. Das geht oft von einem Tag auf den anderen und der erstaunte Mensch kennt seinen Hund nicht wieder. Auf einmal stellt er sich quer und fordert Respekt. Dieser Herausforderung sind Menschen selten gewachsen und trennen sich vom Hund. 

Fremde Menschen

Fremde Menschen außerhalb und in Anwesenheit des Besitzers in seinem Reich ignoriert der Hund und entzieht sich Aufdringlichkeit. Trägt der Hund in Abwesenheit seiner Menschen alleine die Verantwortung, wird er nicht dulden, dass man sich als Gast Freiheiten herausnimmt, die ihm in den Augen des Hundes nicht zustehen. Schon erste Drohanzeichen sollte man ernst nehmen und sich brav hinsetzen. Der Herdenschutzhunde ist selbstständiges Handeln gewohnt und greift nach eigenem Ermessen ein. Das ist seine Lebensaufgabe, nicht die Einordnungen eine Familie. Grundsätzlich gilt auch heute noch, dass das Leben mit einem Herdenschutzhunde auf gegenseitigem Respekt beruht und nicht auf Unterordnung und Gehorsam nach der Pfeife seines Herrn. Klappt das, folgt auch der Herdenschützer den Wünschen seiner Menschen. Doch behält er sich immer eigene Entscheidungen vor, die selbst für erfahrene Hundehalter unerwartet sein können. Mit einem Herdenschutzhunde und seinen Abkömmlingen sollte sich nur jemand anfreunden, der genau weiß, was auf ihn zukommt. Je näher die Hunde ihrer ursprünglichen Aufgabe stehen, desto ausgeprägter das Verhalten. Ein Herdenschutzhund aus dem fernen Pamir, der kaum mit Fremden zusammenkommt und relativ wenig Kontakt zur Dorfgemeinschaft hat, ist sehr viel kompromissloser als ein Cao da Serra da Estrela, der in der dörflichen Gemeinschaft lebt und mit zahlreichen Touristen des Nationalparks umgehen können muss. Das gilt auch für ehemalige Herdenschutzhunde, die seit vielen Generationen als Wachhund auf den Bauernhöfen Polens, Ungarns und der Slowakei gehalten und seit Jahrzehnten als Familienbegleiter gezüchtet werden. Ihre Nähe zur Familie erforderte eine Selektion auf tolerantere Hunde. 

Verantwortung des Halters

Es liegt in der Verantwortung des Halters sicherzustellen, dass sich der Hund nicht genötigt fühlt, Initiative zu ergreifen. Deshalb sollten Kinder nicht unbeaufsichtigt zum Hund gelassen werden, sich Fremde nicht einfach so auf das Grundstück begeben können, Gäste sich in Abwesenheit des Besitzers angemessen verhalten und keine Hunde mitbringen. Selbst wenn der Hund auf neutralem Boden mit dem Gasthund spielt, muss er ihn im Haus nicht dulden! 

Rüde und Hündin

Hündin
Die Griechische Hirtenhündin verbringt ihr Leben auf dem Hof, wo sie ihre Welpen aufzieht und aufpasst.

Der Unterschied zwischen Rüde und Hündin ist gerade bei diesen Hunden sowohl in Größe und Imposanz wie auch im Verhalten sehr deutlich und liegt sicher daran, dass meist Rüden mit der Herde ziehen und die wenigen Hündinnen, die man zur Zucht braucht, in den Dörfern bleiben. Sie müssen sehr viel umgänglicher sein, weil sie Frauen und Kinder näherstehen. Als ich im Sommer in Castro Laboreiro die Herdenschutzhunde aufsuchte, fand ich im Dorf nur ein paar Hündinnen und Welpen vor, alle Rüden waren unerreichbar mit den Hirten in den Bergen. 

Lebensraum

Herdenschützer brauchen Lebensraum, ein Revier für das sie Verantwortung übernehmen dürfen und wo sie sich frei bewegen können. Sie melden alles, das ihre Aufmerksamkeit erregt. Ihr donnerndes Gebell findet wenig Verständnis in der Nachbarschaft, die selbst keinen Wert auf diese zuverlässige Alarmanlage legt. Ortswechsel lieben sie nicht. Erfahrungsgemäß fühlen sie sich wohler, wenn am Urlaubsort ein festes Domizil, ein gut eingezäuntes Ferienhaus, auf sie warten. Hotels oder Campingplätze mit ständig wechselnden, fremden Menschen auf engstem Raum bringen sie durcheinander, sie verbellen alles, markieren usw. Doch sehr schnell „gemeinden“ sie das nähere Umfeld ein  und stellen ist unter ihren Schutz!

Spaziergänge sind Kontrollgänge

Herdenschützer gehen gerne spazieren, denn für sie bedeutet dies, ihr Revier abzuschreiten und zu kontrollieren. Sie fordern aber keine sportlichen Aktivitäten ein. Es sind wunderbare Gefährten für Menschen, die ihrem Hund entsprechendes Lebensumfeld bieten, ihn bei sich haben können, ohne sich ständig mit ihm zu beschäftigen und nicht überall hin mitnehmen wollen.