Lang und kurz…

Betrachtungen zu einer umstrittenen Verbindung von Eva-Maria Krämer

Seit gut 50 Jahren recherchiere ich Hunderassen, bin um die ganze Welt gereist, um sie möglichst noch bei ihrer ursprünglichen Aufgabe zu erleben, so wie sie gelebt haben und wie man mit ihnen umgeht. Mein größtes Interesse galt und gilt natürlich den Collies, seit man 1961 zu mir auf dem SV-Platz sagte: „Schäferhund ist Schäferhund, ob deutsch oder schottisch…“ und meine Ilka quasi als Versager dastand, weil sie nicht wie ein Deutscher Schäferhund funktionierte. Dieses Erlebnis als Kind habe ich nie vergessen und stellte vor Ort fest, dass das so nicht stimmt. Als ich 2007 auf den Welsh Sheepdog stieß war mir klar, dass ich es hier mit einer der Ausgangsrassen des Collies zu tun hatte. Ein Glücksgefühl ohne gleichen, denn hier war der Genpool, den die Rasse dringend benötigte. 

Modehund des ausgehenden 19. Jahrhunderts

Der Langhaar Collie ist eine stark ingezüchtete Rasse. Um schnell zu dem gewünschten Erfolg vom simplen Hütehund zum eleganten, salonfähigen Modehund des ausgehenden 19. Jh. zu gelangen, war Inzucht an der Tagesordnung. Der Schuß Barsoiblut zur Förderung der Farben und Eleganz war genetisch sicher ein Segen, auch wenn in den alten Ahnentafeln davon nichts dokumentiert wurde. Befassen wir uns mit den alten Ahnentafeln, wird einem Angst und Bange, vorausgesetzt die Angaben stimmen. Wie bei anderen Rassen genetisch erforscht und erwiesen (Prof. Dr. Epplen, Uni Bochum) ist – wie er sagt „zum Glück für die Rasse“ die tatsächliche Anzahl der Gründertiere höher als in den Zuchtbüchern dokumentiert. Ich erinnere mich mit großem Vergnügen daran, als man bei den Deutschen Schäferhunden begann DNA-Abstammungsnachweise zu führen und das SV-Heft seitenlang voll damit war, falsche Abstammungen zu veröffentlichen… Und in Zeiten, in denen gar nichts festgehalten oder gar überprüft wurde, war der Name eines Champions als Vater natürlich sehr lukrativ. Noch in meiner Kindheit fuhren Gelegenheits-Colliezüchter vorzugsweise zum nächstgelegenen Champion, nur um Championnachzucht anbieten zu können. Sie erinnerten sich nicht mal an seinen Namen… Ich erinnere mich auch an nette Gespräche mit alt eingesessenen Züchtern und so manche Anekdote zur Echtheit der Vaterschaft berühmter Vererber ihrer Zeit…. Alles war möglich, alles wurde gemacht, sozusagen…

Der Inzuchtkoeffizient 

Aber das, was wir heute genetisch nachweisen können, ist maßgebend. Da der Collie eine britische Rasse ist, schaue ich immer zuerst auf den The Kennel Club. Der COI Inzucht Koeffizient einer Rasse wird stets im Juni anhand der vom The Kennel Club registrierten Hunde des Vorjahrs ermittelt. Die Datenerfassung geht ungefähr in die 1970er Jahre zurück. Je mehr Generationen, desto besser. Zum Zeitpunkt des Schreibens beträgt er beim Langhaar 11,9% (12,4% beim Kurzhaar) im Rassedurchschnitt. Diese Zahl dürfte beim Langhaar aber unter dem tatsächlichen Wert liegen, da sehr viele Hunde aus dem Ausland importiert werden, von denen nur wenige Generationen zur Verfügung stehen, die aber alle auf britische Hunde zurückgehen. Importe aus Übersee sind eher die Ausnahme. Die Situation beim Kurzhaar kenne ich nicht. Tatsächlich wurde anläßlich der Crufts von der BBC eigens über die Situation des Collies berichtet, da er unter einer einzutragende Welpenzahl von 300 zu fallen droht und damit als gefährdete Rasse gilt, weil der Genpool nicht mehr ausreicht. 

Ich habe, um an die Zahl zu gelangen, einen jungen Rüden eingegeben, der mir gerade einfiel: Er hat einen COI von 30,7%. 

In Deutschland haben wir noch das Glück, dass die Gesamtpopulation stark auf US-Importe aus unterschiedlichsten Zuchtlinien zurück geht. Auch wenn dort die Ahnentafeln immer noch sehr eng gezogen sind und die Rasse selbst auf weniger Ausgangstieren durch Importe aus dem Mutterland bis in die 1930er Jahre beruhte, zurückgeht, haben sich die Genpools doch schon seit vielen Generationen separat entwickelt. Das macht sie aber nicht zu separaten Rassen! 

Die tatsächliche Größe der Population 

EPS – Effective Population Size

Der The Kennel Club hat in einer umfassenden Studie diese Daten für seine Rassen erheben lassen. Zugrunde liegen die Eintragungen beim The Kennel Club zwischen 1980 und 2014. Die Analyse umfasst Trends, Rate des Verlustes der genetischen Vielfalt, Inzuchtgrad und Einsatz von Popular Sires. 

EPS von über 100

Die Population kann sich tragen. Die Inzuchtrate war relativ beständig und befindet sich auf einem Grad, der noch tragbar ist. Das bedeutet, angemessener Ausgleich von selektiver Zucht und Inzucht. Damit wird die genetische Vielfalt effektiv gemanagt. 

EPS zwischen 50 und 100

Die Rate des Verlustes der genetischen Vielfalt einer Rasse oder Population steigt dramatisch an, wenn der EPS unter 100 liegt.

Das weist darauf hin, dass die genetische Vielfalt der Rasse ständig abnimmt, oder dass die Rate der Inzucht vormals hoch war und nun allmählich abfällt.

EPS weniger als 50

Eine tatsächliche Populationsgröße von weniger als 50 befindet sich hoch im Risiko für das Auftreten der nachteiligen Auswirkungen der Inzucht. 

Solch eine Rasse befindet sich im Risiko, dass bekannte und unbekannte erbliche Störungen zunehmen. Die Population befindet sich ebenfalls im Risiko der Inzuchtdepression, die sich nachteilig auf die allgemeine Fitness, allgemeine Gesundheit, geringe Wurfstärken und Fruchtbarkeitsprobleme auswirkt. 

Und wo steht der Langhaar Collie? 

Bei 39,4!

Im Vergleich dazu die anderen britischen Hütehunde: 

Kurzhaar Collie 90

Bearded Collie 23,9

Border Collie 113,4

Old English Sheepdog 51

Shetland Sheepdog 77,61

Welsh Corgi Cardigan 125,6

Welsh Corgi 56,42

Nur der Bearded Collie steht schlechter da! Das ist auch kein Wunder, da die Rasse erst vor gut 70 Jahren auf wenigen Ausgangstieren aufgebaut wurde. Der noch bestehende Genpool der Working Beardies wird leider nicht genutzt. In Deutschland folgt der Bearded Collie Club Deutschland e.V. der Vorgabe des VDH, Hunde unbekannter Herkunft über die Registerzucht in den Genpool einzuführen.

Inzuchtdepression

Wie steht es da um den Langhaar Collie? Da es keine Erhebungen gibt, jedenfalls keine veröffentlichten, ist das reine Gefühlssache. Tatsache ist, dass man für jeden Deckakt einen Plan B oder C haben muss, weil viele Deckakte nicht zustande kommen. 

Wenn dann erfahrene Züchter von „einfüllen“ reden und damit den kurzen Prozess der künstlichen Besamung als ganz normal hinnehmen, sollte man sich vielleicht Gedanken machen… 

wenn gut ein Drittel der gedeckten Hündinnen leer bleibt, sollte man sich vielleicht Gedanken machen… 

wenn der Wurfdurchschnitt der geborenen Welpen von 1963 7,45 Welpen in 2022 auf 5,6 (beim Kurzhaar im DCC 2022 7,1) gesunken ist, sollte man sich vielleicht Gedanken machen… 

Auch mal über den Tellerrand sehen bei anderen Rassen, denn Umwelt und Ernährung treffen auch auf andere Rassen zu. Für sowas sind Zuchtvereine zuständig, wenn sie ihre Arbeit ernstnehmen. 

Outcross

Das Thema der inzwischen in der Öffentlichkeit stark angeschlagenen Rassehundezucht ist die Kreuzungszucht. Damit füllen sich derzeit die Vermehrer irgendwelcher Rassemischungen die Taschen. Aber es wäre sinnvoll, wenn ein Experimentalprogramm ordentlich von den Zuchtverbänden geführt würde. Es wäre nicht nur sinnvoll, sondern absolut notwendig. 

Für den Collie hätten wir als ersten Schritt die Verbindung Kurzhaar-Langhaar. Wer behauptet, dass es sich hier um zwei verschiedene Rassen handelt, nur weil es zwei FCI-Nummern gibt, streut Sand in die Augen. Haarlänge macht keine Rasse… ebenso wenig die Farbe. Beim Collie wurde die Farbe erst im Standard von 1969 festgelegt. Alle stockhaarigen Hütehunderassen, die ich kenne, tragen das Langhaargen, aber auch z.B. der Rottweiler und zahlreiche Jagdhunde. Für die Arbeit wird immer der stockhaarige Hund bevorzugt, denn selbst in dem nicht sehr warmen Klima Großbritanniens erhitzen die langhaarigen Hunde schneller und sind daher schneller erschöpft. Außerdem sind Kurzhaars immer sauber und müssen nicht gepflegt werden. Ein dichtes Stockhaar schützt auch in kalter Zeit genug. Meiner Erfahrung nach sind die stockhaarigen Varianten im Wesen die tougheren Hunde, über alle Rassen! 

Das Langhaargen ist rezessiv, kann also über Generationen versteckt getragen werden, während das Kurzhaargen dominant ist. Dafür kann ein Kurzhaar die Anlage für Langhaar tragen. Ein Kurzhaarcollie kann nur langhaarigen Nachwuchs bringen, wenn er selbst das Langhaargen trägt. Es gibt einen Gentest. Ein Langhaar ist immer reinerbig für Langhaar und kann daher sehr leicht weiter gezüchtet werden. Dominante Eigenschaften verschwinden jedoch rasch, wenn man sie meidet. Daher musste der Kurzhaar nach dem Krieg erst wieder mit viel Mühe aufgebaut werden. Schließlich wurden die Rassen auf Wunsch der Kurzhaarzüchter vor einigen Jahrzehnten getrennt und schließlich bei der FCI mit eigener Nummer geführt. Im Nachhinein ein Segen, denn so konnten sich separate Blutlinien bilden, und der Kurzhaar folgte nicht dem Trend analog zum Langhaar. 

Langhaar aus Kurzhaar

Seitdem gibt es die unselige Diskussion: Was mit den Langhaars aus Kurzhaarverbindungen? Die Kurzhaarzüchter sind sehr eifrig um den Genpool bemüht, der aber in Deutschland dadurch eingeschränkt wird, dass Langhaarträger nicht verpaart werden dürfen, damit keine Langhaars fallen. Gerade diese aber sind Edelsteine für die Langhaarzucht! Natürlich will kein Kurzhaarzüchter langhaarige Welpen züchten und umgekehrt, man nimmt diese lediglich in Kauf. Aber sie sind keine Katastrophen! 

In vielen Ländern gibt es keine Einschränkungen, Kurzhaar kann mit Langhaar, zumindest auf Antrag hin, der auch genehmigt wird, verpaart werden, siehe Skandinavien und Schweiz als Beispiele (in den USA sind Kurz-und Langhaar nur Varianten und eine Rasse). Zu behaupten, es handele sich um Mischlingszucht disqualifiziert jeden, der so etwas aussagt. 

Die FCI erlaubt ausdrücklich zur Genpoolerweiterung solche Auskreuzungen, auch der VDH würde sich nicht gegen die Zuchtvereine stellen, würden sie dies befürworten. Die Frage, wo im Fall von zwei Zuchtbüchern eintragen, lässt sich leicht lösen: Ins Zuchtbuch der Mutter. Davon ausgehend, dass der Züchter die Notwendigkeit für seine Rasse sieht, sonst hätte er die Zuchthündin nicht. 

Der Kennel Club schreibt z.B. auf seiner Website zum Crossbreeding: „Es ist ratsam, dass jeder, der einen Hund einer anderen Rasse einkreuzen möchte, Rat bei einem Genetiker sucht. Anträge für Dalmatiner, Mini Bull Terrier und Belgische Schäferhunde fremde Rassen einzukreuzen wurden vom Kennel Club genehmigt und dorthin sollte man sich als erstes wenden, um Rat zum weiteren Vorgehen zu erhalten.“

Und hier das Statement der FCI: 

3)  ALLGEMEINE UND RASSESPEZIFISCHE GRUNDSÄTZE 

Zur Verminderung von Gesundheitsproblemen oder von Problemen aufgrund eines ungesunden Körperbaus sollte es generell möglich sein, ENG VERWANDTE RASSEN oder RASSEVARIETÄTEN zu kreuzen. Dabei gilt:
GRÖSSE: Nur Kreuzen mit der nächsten Grössenvarietät (wegen des Risikos beim Werfen). LANGHAAR: Kreuzen von Langhaar mit Langhaar ergibt stets wieder Langhaar (wegen des rezessiven Gens)
FARBE: Niemals Merle mit Merle kreuzen, denn ein Viertel des Wurfs wird homozygot mit Letaldefekten oder Gesundheitsproblemen, wie Taubheit, belastet sein. 

Breed Watch – Rassebeobachtung

Bez. „Zur Verminderung von Problemen aufgrund eines ungesunden Körperbaus“… hat der The Kennel Club ein „Breed Watch“-Programm aufgelegt, bei dem für jede Rasse Merkmale festgelegt werden, die die Richter bei der Beurteilung in Betracht ziehen sollen.  Kurzhaar ist in der Kategorie 1 (keine Meldungen), Langhaar Kategorie 2:

Kuhessige Hinterhand

Extrem kleine Augen

Nicht korrektes Gebiß

Zu schmaler Unterkiefer

Schwache Hinterhand

BSI – Breed Specific Instructions

Der VDH schließt sich den internationalen „Breed Specific Instructions“ an, und die Richter müssen über die gerichteten Hunde berichten.

Sowohl für Kurzhaar als auch Langhaar Collie lesen wir hier:

Rassebezogene Beurteilungshinweise 

Langhaariger schottischer Schäferhund (Collie Rough) 

Kurzhaariger schottischer Schäferhund (Collie Smooth) 

Achten Sie insbesondere auf folgende Bereiche:


Verhalten 

Übermäßige Ängstlichkeit. 

Fang 

Schmaler Unterkiefer, Fangzahn-Engstand und andere schwerwiegende Fehlstellungen der Fangzähne. 

Augen 

Sehr kleine, tief liegende Augen. 

Bewegung 

Relativ ineffiziente Trabaktion. 

Ein Collie sollte freundlich veranlagt sein, ohne jegliche Spur von Nervosität oder Aggressivität und sich besonders gut als Begleithund eignen. Er sollte normal entwickelte Kiefer und Zähne aufweisen. Mittelgroße Augen mit einem lieblichen Ausdruck sind eines seiner wichtigen Merkmale. Fließenden Bewegungsabläufen mit starkem Schub kommt eine hohe Bedeutung zu. 

Der Collie hat seine Schwachstellen, die anzugehen sind.

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg! 

Wir stehen mit der Rassehundezucht am Abgrund! Es bedarf neuer Wege bzw. alter Wege – back to the roots -, um uns die wunderbaren Gefährten zu erhalten, die unsere Kultur und Entwicklung mittragen. Der Mensch wäre ohne den Hund an seiner Seite nicht so schnell weitergekommen, obwohl man sich auch da fragen könnte… wohin? Wir müssen keine Museumsstücke züchten, aber wir dürfen nie vergessen, woher unsere Hunde stammen und was ihre ursprünglichen Aufgaben waren. Wir müssen für ein gesundes, beschwerdefreies Leben sorgen, auch wenn es leider nur auf unseren vermenschlichenden Vorstellungen von „schönes Leben“ beruht, was die echten Bedürfnisse eines Hundes oft vergessen lässt. 

Vor allem dürfen eingefahrene Strukturen der Zuchtvereine nicht zuchtbehindernd sein, und es ist an der Zeit, den Züchtern eigenverantwortlich zuzutrauen, was sie tun, wenn sie von den Zuchtvereinen ordentlich geschult werden, was zweifellos der Fall ist. 

Das Ziel gesunde Hunderassen – in Körper und Geist – muss an oberster Stelle stehen! Ausstellungserfolge sollten unterstützend wirken, aber niemals ebenso wie sportliche Leistungsziele – zum Zuchtziel und Spielball menschlicher Eitelkeiten und Ehrgeiz werden. Das haben unsere Hunde nicht verdient!

Copyright: Eva-Maria Krämer

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*


Wenn Du einen Kommentar abgibst, werden die eingegeben Daten und Deine IP-Adresse gespeichert. Die E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Weitere Informationen zur Datenspeicherung findest Du in meiner Datenschutzerklärung