Kynologische Rückblicke – Lhasa Apso

Meine Freundin Rachel wohnte mit ihrem Kanaan Hund am Kölner Stadtwald. Sie kannte alle Hundebesitzer und deren Geschichten. So lernte auch ich interessante Menschen und Hunde kennen, über die ich berichten und deren Hunde fotografieren durfte. 

Die Geschichte von Yeti aus DAS TIER vom November 1977

Die Männer hatten sich soeben zum Abendessen am Lagerfeuer gesetzt, redlich müde vom langen Tagesmarsch durch den Himalaya zu den mächtigen Achttausendern des Annapurna im Königreich Nepal, als einer von ihnen, Dr. Bauwens aus Köln, plötzlich ein jämmerliches Winseln zu hören glaubte. Ein Hund – hier in der Wildnis? Suchend sah er sich um. Das bemerkte ein Lastenträger und kam mit einem kleinen grauen Hund an, um dessen Hals ein dicker Strick geknotet war. Das arme Tier war völlig verwildert und verschmutzt und sah ganz so aus, als ob es in seinem kurzen Leben noch nicht viel Gutes erfahren hätte. Dr. Bauwens hielt ihm einen Fleischbrocken hin, über den der Hund sofort gierig herfiel. 

Lhasa Apso
Lhasa Apso – vorne Yoshie, hinten Yeti

Am nächsten Morgen wurde an einem Gebirgsfluss haltgemacht, um das verlauste und verdreckte Bündel Hund erst einmal notdürftig zu baden. Dabei stellte sich heraus, dass es eine Hündin war; die Männer nannten sie – nach dem sagenumwobenen Schneemenschen „Yeti“. Das Hündchen fühlte sich von Anfang an zu Dr. Bauwens hingezogen und wich ihm während des dreiwöchigen Fußtrecks nicht mehr von der Seite. Bei regelmäßiger Fütterung erholte es sich von Tag zu Tag mehr, überwand mit erstaunlicher Spannkraft und Leichtigkeit die Hindernisse am Wegesrand und zeigte sich täglich anmutiger. Je näher die Heimreise rückte, desto mehr spürte Dr. Bauwens, wie sehr ihm Yeti schon ans Herz gewachsen war. Schließlich beschloss er, sie einfach mit nach Hause zu nehmen. Zum Glück hatte er keine Ahnung, was ihm da bevorstand; denn Yeti, die bisher ihr Leben unter freiem Himmel verbracht hatte, stand in Autos, Flugzeigen und Hotelzimmern fortwährend Todesängste aus und Dr. Bauwens war heilfroh, als er am Rosenmontag 1968 endlich in Köln landete. 

Seine Frau bekam zunächst einen Mordsschreck, als ihr Mann ihr einen Rucksack hinhielt, aus dem ein kleiner grauer Hundekopf schaute. Auch die Dackelin „Anke“, die zu Hause ihren Herrn erwartete, zeigte keine große Begeisterung über den Familienzuwachs. Aber Yeti war nun einmal da. Frau Bauwens steckte die verlauste Hündin erst einmal in die Badewanne, reinigte die verklebten Ohren und kämmte anschließend das Fell sorgfältig aus. Gleich am nächsten Morgen ging sie mit Yeti zum Tierarzt. Der erklärte die etwa dreijährige Hündin nach eingehender Untersuchung für vollkommen gesund, nur die Zähne waren über alle Maßen abgenutzt. Offenbar hatte Yeti hauptsächlich von Knochen gelebt oder gar vor Hunger Steine gekaut. Auf die Frage, welcher Rasse dieses Tier wohl angehören konnte, zögerte der Tierarzt eine Weile und blätterte in einem dicken Buch. Dann aber war er sich sicher: Dr. Bauwens hatte hier einen sehr seltenen Hund aufgelesen – einen Lhasa Apso.

Diese Hunderasse wurde schon um 800 v. Chr. urkundlich erwähnt. Damals wurde sie im Kloster des Dalai Lama, in den Klöstern im Lhasa und von Adeligen gezüchtet. Kaufen konnte man sie nicht, ihre Ausfuhr war streng verboten. Sie galten als Glücksbringer und wurden immer paarweise verschenkt. Auf diese Weise gelangte tatsächlich einige wenige Tiere nach England und in die Vereinigten Staaten, wo sie weitergezüchtet wurden und rasch Liebhaber fanden. 

Auch ihre Fähigkeiten als Wachhunde wurden offensichtlich seit jeher geschätzt. So zeigen viele Kunstwerke Lhasa Apsos als Begleiter Buddhas – Sinnbild des Löwen, in den sich der kleine Hund verwandeln konnte, um den Buddha in Gefahr zu beschützen. Löwenfarbene Apsos standen daher besonders hoch im Ansehen.

Lhasa Apso
Lhasa Apso – löwenfarbig

Die Bauwens hatten bis dahin noch nie etwas von dieser Rasse gehört, jetzt wollten sie unbedingt soviel wie möglich darüber erfahren. Zunächst einmal meldeten sie Yeti für eine Hundeausstellung an und erhielten zu ihrer Verblüffung auf Anhieb die Bestätigung, dass es sich hier um eine reinrassige Lhasa Apso-Dame handelte, zumindest dem Äußeren nach. Der endgültige Beweis würde erst durch Nachwuchs erbracht werden können. Und siehe da, auf der Hundeschau lernten die Bauwens gleich eine holländische Züchterin kennen, die sogar zwei Apso-Rüden besaß und ihnen anbot, zur gegebenen Zeit mit Yeti nach Holland zu kommen. Doch die Reise schien zunächst ein Fehlschlag, Yeti lehnte ihre beiden Freier hochnäsig und nachdrücklich ab. Zum Glück hatte sich gerade ein neuer Zwingergast angesagt, ein Apso-Rüde aus Belgien. Das war ganz etwas anderes als die beiden ungestümen jungen Burschen – ein echter Kavalier, der sich bewundernd vor Yeti niederlegte und zärtlich um ihre Gunst warb…

Lhasa Apso
Lhasa Apso – englischer Show-Champion

Neun Wochen später kamen die Kinder dieser Liebe auf die Welt: drei entzückende schwarz-weiße reinrassige Apso-Welpen: „Yakie“, „Yoshie“ und „Yessie“. Die Aufzucht dieser drolligen kleinen Hundeschar machte den Bauwens viel Spaß, aber die Hündchen ergriffen täglich mehr Besitz von der Wohnung. Bald war es nicht mehr zu übersehen – fünf Hunde (schließlich gab es ja noch Dackeldame „Anke“) waren einfach zu viel. Deshalb verschenkten die Bauwens nach vier Monaten den Rüden „Yakie“ und seine Schwester „Yessie“ an gute Freunde. Sie waren nicht aus der Welt, denn häufig begegneten sich Mutter und Geschwister im Stadtwald beim Spazierengehen, und jedes Mal gab es eine freudige Begrüßung. „Yoshie“, die kleinste und ruhigste, durfte bei der Mutter bleiben und wuchs zu einer anmutigen Schönheit heran mit glänzendem Fell und einem überreichen Schopf, der mit einer Haarspange aus den Augen gehalten werden musste. 

In ihrer tibetischen Heimat brauchen die Apsos das üppige wärmende Haarkleid, denn dort dauert der Winter acht Monate. Allerdings entwickelt sich das Fell erst nach drei bis vier Jahren seine volle Fülle und Schönheit. Auch die Pfoten sind so dicht behaart, dass die Hunde wie auf Polstern laufen – eine nützliche Schutzvorrichtung der Natur im rauen Hochland. Werden die Hunde nicht regelmäßig sorgfältig gekämmt, verfilzt das Fell rasch. Frau Bauwens bearbeitet das Hundehaar täglich mit einer Naturhaarbürste und feuchtet es vorher leicht an, damit es nicht abbricht. Lhasa Apsos kennen nämlich keinen Haarausfall, abgestorbenes Haar verwandelt sich in Filz. Nach dem Bürsten bekommen die Hundchen von Kopf bis zur Rute einen Scheitel gezogen; dann werden die Schopfhaare zurückgekämmt und ebenfalls gescheitelt und schließlich die Rute aufwärts gebürstet, in einer duftigen Locke auf den Rücken gelegt. Die Mühe lohnt sich; denn so kommt die Schönheit dieser Rasse voll zur Geltung.

Alle Zähne wuchsen nach

Heute ist Yeti etwa elf Jahre alt. Zur großen Überraschung ihrer Besitzer wuchsen bei der guten Pflege und Kost nach etwa einem Jahr alle Zähne nach (bei den Stummeln hatte es sich also um Milchzähne gehandelt), und ihr Gebiss ist heute noch einwandfrei. Yeti hatte zunächst einmal an Hundefutter gewöhnt werden müssen und nur ganz allmählich Fleisch angenommen. Heute bekommen Mutter und Tochter nur gekochtes Kopffleisch mit Reis oder Hundeflocken und geriebenen Möhren. Angeblich sollen Lhasa Apsos bis zu dreißig Jahre alt werden, was bei ihrer unverwüstlichen Natur und ihrer gesunden Lebensweise ja nicht unwahrscheinlich scheint. Frau Bauwens sorgt dafür, dass ihre Hunde viel Bewegung haben und führt sie täglich auf weite Spaziergänge. Dabei genießt es Yoshie besonders, wenn sie im Mittelpunkt steht und von anderen Spaziergängern oder Hunden bewundert wird. Ihre Mutter ist viel zurückhaltender. 

Familie Bauwens hat Yeti und auch später Yoshie nicht mehr belegen lassen; sie hätte es nicht übers Herz gebracht, ihre geliebten Hündchen an fremde Menschen zu verkaufen. Aber Yetis Sohn Yakie, der zu den Freunden kam und heute sein Herrchen auf allen Flügen in einer Privatmaschine begleitet, ist bereits zweimal Vater geworden und hat dafür gesorgt, dass der Familienzweig „Yeti“, der auf so abenteuerliche Weise ins Leben gerufen wurde, nicht so rasch ausstirbt. 

Copyright Text und Fotos Eva-Maria Krämer

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*


Wenn Du einen Kommentar abgibst, werden die eingegeben Daten und Deine IP-Adresse gespeichert. Die E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Weitere Informationen zur Datenspeicherung findest Du in meiner Datenschutzerklärung